ladisch.de > Deutsches Recht > Unzulässige Telefonwerbeklausel
a) Für die von einem Verwender vorformulierten einseitigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen des Kunden, die weder eine Nebenabrede enthalten noch zum notwendigen Inhalt eines gleichzeitig abgeschlossenen Vertrages gehören, aber im Zusammenhang mit der vertraglichen Beziehung stehen, gilt das AGB-Gesetz entsprechend.
b) Eine vorformulierte Klausel, in der der Kunde sein Einverständnis mit telefonischer Werbung erklärt, enthält eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 9 AGBG.
BGHZ 141, 124-129 (125, 126, 127, 128, 129)
I. Landgericht Frankfurt am Main
II. Oberlandesgericht Frankfurt am Main
Der Kläger ist ein rechtsfähiger Verein, der satzungsgemäß Verbraucherinteressen wahrnimmt. Die beklagte Bank verwendet Kontoeröffnungsformulare, die unter der Zeile für die Unterschrift des Kunden und einer durchgezogenen Linie - neben einer Einwilligungserklärung für die Übermittlung von Kundendaten an Kooperationspartner der beklagten Bank und für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von persönlichen Angaben - folgende Klausel enthalten:
»Telefonwerbung
Ich erkläre mich damit einverstanden, daß die C.bank AG oder eine von ihr beauftragte Stelle mich telefonisch zum Zwecke der Beratung anspricht. Dieses Einverständnis umfaßt über die bestehende Geschäftsverbindung hinaus die Werbung für Produkte der Bank und ihrer Kooperationspartner. ... Dieses Einverständnis ist jederzeit widerrufbar. ...«
Mit der Klage hat der Kläger sämtliche formularmäßigen Einverständniserklärungen, für die eine besondere Unterschrift des Kunden vorgesehen ist, wegen Verstoßes gegen §§ 9, 11 Nr. 1 b AGBG beanstandet.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat ihr im wesentlichen stattgegeben. Nur soweit der Kläger die Einverständniserklärung zur Telefonwerbung durch die beklagte Bank selbst beanstandet, ist die Berufung erfolglos geblieben.
Mit ihren zugelassenen Revisionen erstreben die Kläger die einschränkungslose Untersagung einer formularmäßigen Einverständniserklärung zur Telefonwerbung, die Beklagte die vollständige Abweisung der Klage, soweit sie sich auf die Telefonwerbeklausel bezieht.
Die Revision des Klägers hatte Erfolg, die der Beklagten dagegen nicht.
I. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß es sich bei den beanstandeten vorformulierten Erklärungen um Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt: Die optische und textliche Gestaltung der Klauseln ließen für antragstellende Bankkunden nicht hinreichend erkennen, daß der die Einverständniserklärungen enthaltende Abschnitt nicht Bestandteil des Kontoeröffnungsantrages und des zu schließenden Kontovertrages, sondern eine davon unabhängige einseitige und freiwillige Erklärung des Kunden sei. Um das mögliche Mißverständnis auszuschließen, daß nur mit zusätzlicher Unterschrift unter diese Erklärung der Vertrag wirksam werde, hätte es einer Trennung von den sonstigen die Kontoeröffnung betreffenden Erklärungen und eines deutlichen Hinweises auf die Freiwilligkeit der zusätzlichen Erklärungen bedurft.
In der Telefonwerbeklausel hat das Berufungsgericht eine unangemessene Benachteiligung des Kunden gesehen, soweit sie sich auf von der Beklagten beauftragte Dritte bezieht und auch eine Werbung über die bestehende Geschäftsverbindung hinaus erlaubt. Insoweit hat es auf die Gefahr ausufernder Telefonwerbung abgestellt. Das Einverständnis des Kunden mit einer auf die Geschäftsverbindung beschränkten Werbung durch die Beklagte selbst hat es dagegen als unbedenklich bewertet.
Das hält zwar den Revisionsangriffen der Beklagten, nicht dagegen denen des Klägers stand.
1. Das Berufungsgericht ist im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, daß die beanstandete Klausel nach § 1 Abs. 1 AGBG als eine Allgemeine Geschäftsbedingung zu behandeln ist. Zwar sind in § 1 Abs. 1 AGBG nur vorformulierte Vertragsbedingungen genannt, die von einem Verwender bei Abschluß des Vertrages dem Kunden gestellt werden und als Kernbestandteile oder Nebenabreden Inhalt dieses Vertrages werden sollen. Mit Rücksicht auf den Schutzzweck des Gesetzes ist es jedoch geboten, auch die vom Verwender vorformulierten einseitigen rechtsgeschäftlichen Erklärungen, die weder eine Nebenrede enthalten noch zum notwendigen Inhalt eines gleichzeitig abgeschlossenen Vertrages gehören, den Regelungen des Gesetzes zu unterstellen, sofern sie nur im Zusammenhang mit einer vertraglichen Beziehung stehen, ohne deren rechtlicher Bestandteil zu sein (vgl. MünchKomm/Kötz 3. Aufl. AGBG § 1 Rdn. 4; Soergel/Stein, BGB 12. Aufl. § 1 Rdn. 8; Ulmer/Brandner/Hensen, AGBG 8. Aufl. § 1 Rdn. 16; Wolf/Horn/Lindacher, AGBG 3. Aufl. § 1 Rdn. 6 und 7; vgl. auch BGHZ 95, 362, 363 f.).
So liegt der Fall hier. Die Beklagte läßt sich im Zusammenhang mit dem Abschluß des Kontoeröffnungsvertrages das - einseitige - vorformulierte Einverständnis ihres Kunden mit telefonischer Werbung durch sie selbst und ihre Kooperationspartner erklären. Daß der Kunde diese Erklärung gesondert unterschreiben muß, berührt ihren Charakter als Allgemeine Geschäftsbedingung nicht. Entscheidend ist, daß die Beklagte bei der von ihrem Kunden abzugebenden Erklärung die rechtsgeschäftliche Gestaltungsfreiheit für sich ebenso in Anspruch nimmt wie bei der Vorformulierung eines Vertragstextes und der Kunde nur darauf, ob er die Erklärung abgeben will, nicht aber auf ihren Inhalt Einfluß hat (vgl. dazu Ulmer/Brandner/Hensen aaO; Soergel/Stein aaO).
2. Die vom Kläger beanstandete Klausel über das Einverständnis mit der Telefonwerbung enthält bei einer auch im Verbandsklageverfahren gebotenen generalisierenden und die beiderseitigen Interessen abwägenden Betrachtung (vgl. BGHZ 65, 107, 111/112; 82, 238, 240/241) eine unangemessene Benachteiligung des Kunden im Sinne von § 9 AGBG.
Telefonwerbung stellt eine besonders schwerwiegende Beeinträchtigung der verfassungsrechtlich geschützten Privatsphäre des Angerufenen dar. Sie ist ein grober Mißbrauch des vom Inhaber im eigenen Interesse und auf eigenen Kosten unterhaltenen Telefonanschlusses zu Werbezwecken, erlaubt ein praktisch unkontrollierbares Eindringen in die Lebensgewohnheiten der Zielperson und zwingt ihr zu einem ausschließlich durch den Werbenden bestimmten Zeitpunkt in ihrer häuslichen Sphäre Anpreisungen von Waren und Dienstleistungen auf.
Die Anrufe werden im allgemeinen von in dieser Art der Werbung besonders geschulten Personen vorgenommen, deren psychologisch geschickt eingesetzter Redegewandtheit sich der aus seiner gegenwärtigen Tätigkeit Gerissene meist nur unter peinlicher Verletzung der Regeln der Höflichkeit entziehen kann.
Erklärte man eine solche Form der Werbung ohne Einschränkungen für rechtmäßig, wäre ihr Umsichgreifen innerhalb kurzer Zeit schon aus Wettbewerbsgründen unvermeidlich und damit der Inhaber eines Telefonanschlusses nicht nur vielfältigen Belästigungen ausgesetzt, sondern sein Anschluß für ins Gewicht fallende Zeiträume für erwünschte Anrufe blockiert und damit in unzumutbarer Weise seinem bestimmungsgemäßen Zweck entfremdet.
Wegen der massiven Beeinträchtigung für die Zielpersonen und im Hinblick auf die Nachahmungsgefahr hat der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs in ständiger Rechtsprechung (vgl. BGHZ 54, 188, 190 ff.; 113, 282, 283 f.; BGH, Urteil vom 8. Juni 1989 I ZR 178/87, NJW 1989, 2820; Urteil vom 16. Dezember 1993 I ZR 285/91, NJW 1994, 1071, 1072; Urteil vom 8. Dezember 1994 I ZR 189/92, NJW-RR 1995, 613 f.) die Telefonwerbung im privaten Bereich sogar grundsätzlich als mit den guten Sitten des Wettbewerbs unvereinbar angesehen und einen Verstoß gegen § 1 UWG bejaht, wenn nicht der Angerufene zuvor ausdrücklich oder konkludent sein Einverständnis mit einem solchen Anruf erklärt hat. Diese Beurteilung stützt sich vor allem auf die Erwägung, daß der Schutz der Individualsphäre vorrangig gegenüber dem wirtschaftlichen Gewinnstreben von Wettbewerbern ist und daß die berechtigten Interessen der gewerblichen Wirtschaft, ihre Produkte werbemäßig anzupreisen, es angesichts der Vielfalt der Werbemethoden nicht erfordern, mit Werbemaßnahmen auch in den privaten Bereich des umworbenen Verbrauchers einzudringen.
Nach Auffassung des erkennenden Senats gelten diese Grundsätze nicht nur im Verhältnis von Wettbewerbern untereinander, sondern erst recht für die Zulässigkeit der Telefonwerbung gegenüber dem in seiner Privatsphäre zu schützenden Werbeadressaten selbst. Das Erfordernis eines ausdrücklichen oder konkludenten Einverständnisses schließt eine Herbeiführung der »Einverständniserklärung« durch Allgemeine Geschäftsbedingungen aus. Jede andere Sicht der Dinge würde Wettbewerber zu einer entsprechenden Angleichung ihrer Geschäftsbedingungen ermuntern und zu eben der massiven Belästigung führen, der das Erfordernis des ausdrücklichen oder zumindest konkludenten Einverständnisses entgegenwirken soll. Sie würde darüber hinaus dem Schutzgedanken des § 1 UWG widersprechen.
Daß die Kunden, deren Einverständnis die Beklagte herbeiführen will, mit ihr eine dauernde Kontoverbindung eingehen, ändert an der Unangemessenheit der Klausel nichts. Die Kontoverbindung rechtfertigt ein Eindringen in die Privatsphäre zu Werbezwecken nicht (vgl. für den ähnlichen Fall eines bestehenden Versicherungsvertrages BGH, Urteil vom 8. Dezember 1994 - I ZR 189/92, NJW-RR 1995, 613 f.). Ebensowenig ist es von Bedeutung, daß die Einverständniserklärung jederzeit widerruflich ist. Die Klausel soll den Verwender von der Notwendigkeit befreien, das Einverständnis des Kunden durch Individualvereinbarung herbeizuführen, und verlagert die Initiative zur Wiederherstellung der ungestörten Privatsphäre auf den Betroffenen.
Korrigiert wurde das überflüssige Komma nach »ihre Produkte« auf Seite 128.