Urteil des Landgerichts Berlin zur E-Mail-Werbung per Mailingliste

Urteil vom 23. Juni 2000 - 16.O.115/00

Die Berufung beim Kammergericht zum Aktenzeichen 5 U 6727/00 endete nach der Erledigungserklärung der Parteien mit einem Kostenbeschluss.

Mitgeteilt durch Julian Ladisch.

Nichtamtliches Inhaltsverzeichnis

Tenor
Tatbestand
Entscheidungsgründe
auch Voranfragen sind Werbung
Eingriff in Gewerbebetrieb
Wettbewerbsverstoß nach § 1 UWG nur gegenüber Konkurrenten
keine Eigentumsverletzung
allgemeines Persönlichkeitsrecht, negative Informationsfreiheit
Gewerbebetrieb auch bei Freiberuflern
unmittelbarer zielgerichteter Eingriff
gleiche Belästigung für Privatpersonen, Freiberufler und Gewerbetreibende
Arbeitszeit, Telefongebühren, Überlauf, Fehler
BGH-Keimtheorie
versehentlicher Versand, unkontrollierte Streuung
kein Verbot durch EU-Fernabsatzrichtlinie
kein Verbot durch nationales Recht
offenkundige Ablehnung laut Richtlinie
offenkundige Ablehnung liegt vor
Filter
Kennzeichnungspflicht
Selbstkontrolle nicht ausreichend
Mailinglisteneintrag muss bewiesen werden, Homepage keine Werbeeinladung
Wiederholungsgefahr
Unterschied Privat- und Geschäftsadresse


Im Namen des Volkes

In dem Rechtsstreit

*

hat die Zivilkammer 16 des Landgerichts Berlin in 10589 Berlin (Charlottenburg), Tegeler Weg 17-21, auf die mündliche Verhandlung vom 23. Juni 2000 durch den Richter am Landgericht * als Einzelrichter
für Recht erkannt:

  1. Der Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines bei jedem Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 500.000,-- DM, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu unterlassen, dem Kläger per eMail Schreiben, wie nachfolgend abgebildet, zu übersenden oder Dritte mit der Übersendung zu beauftragen:
    *
  2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 30.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt den Beklagten wegen unerwünschter eMail Werbung auf Unterlassung in Anspruch.

Der Kläger ist Rechtsanwalt in Berlin. Er verfügt bei dem in Berlin ansässigen Internet-Service-Provider * über einen eMail-Anschluß mit der Adresse *, die er auf seiner Kanzlei-Homepage als Kontaktadresse nennt. Der Beklagte ist Herausgeber und Chefredakteur des *, eines Internet-Newsletters, der unter der Internetadresse * aufgerufen werden kann. Am 9. Dezember 1999 erhielt der Kläger von dem Beklagten unter seiner oben genannten eMail-Adresse die im Tenor abgebildete eMail des Beklagten.

Der Kläger behauptet, er habe nicht in Geschäftskontakt mit dem Beklagten gestanden und sich insbesondere nicht in dessen »Mailing«-Listen eingetragen. Auf eine Abmahnung des Klägers erklärte der Beklagte mit Schreiben vom 19. Dezember 1999, daß er die eMail-Adresse des Klägers nicht mehr verwenden würde. Die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung lehnte er jedoch ab.

Der Kläger beantragt,

was erkannt worden ist.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie meint, sein Schreiben sei nicht als Werbung anzusehen. Es handele sich lediglich um eine »Check-Mail«, die nur auf erfolgte Registrierung durch den Internetnutzer erfolge und mit der überprüft werde, ob das zuvor bekundete Interesse ernst gemeint sei. Im Falle keiner oder einer negativen Rückantwort werde die Registrierung sofort gelöscht. Selbst wenn nicht der Kläger selbst, sondern ein unbefugter Dritter die Registrierung für den Kläger vorgenommen habe, könne ihm - dem Beklagten - dies nicht angelastet werden. Der Kläger müsse aufgrund seines eigenen Auftretens im Internet damit rechen, daß er - wie geschehen - eMails erhalte. Dadurch, daß der Beklagte dem Kläger mitgeteilt habe, daß er ihn aus dem Bezugskreis entlasse, sei jedenfalls auch eine Wiederholungsgefahr entfallen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf den Inhalt der zwischen ihren Prozeßbevollmächtigten gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist gemäß §§ 32 ZPO, 24 Abs. 2 S. 1 UWG zulässig und auch begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Unterlassungsanspruch gemäß §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB.

Bei der streitgegenständlichen eMail des Beklagten handelt es sich um Werbung. Dafür kommt es weder auf die Form und Gestaltung noch auf den Umfang des Schreibens an. Maßgeblich ist, daß der Beklagte damit auf die von ihm angebotenen Dienstleistungen aufmerksam machen wollte. Dem steht nicht entgegen, daß es sich zunächst nur um eine Voranfrage handelte, ob weitere Informationen gewünscht würden.

Die Kammer hat zur Frage der Zulässigkeit von eMail-Werbung im Urteil vom 13. Oktober 1999 (16 O 320/98, MMR 99, 43), das einen ähnlich gelagerten Fall, nämlich eine an die Kanzleiadresse eines Rechtsanwalts gerichtete eMail, betraf, Folgendes ausgeführt:

»...

Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Unterlassung entsprechend §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.

Dieser Auffangtatbestand des gesetzlichen Unternehmensschutzes kommt vorliegend zur Anwendung, da andere Anspruchsgrundlagen nicht einschlägig sind.

Ein Wettbewerbsverstoß gemäß § 1 UWG liegt nicht vor. Zwar stellt die Versendung der Werbe-eMail durch den Beklagten eine Handlung im geschäftlichen Verkehr dar. Dieser Handlung fehlt jedoch im Verhältnis der Parteien untereinander jegliche wettbewerbliche Relevanz. Denn zwischen dem Vermieter von Jahrmarktgeräten und einem Rechtsanwalt besteht keine Konkurrenzsituation.

Eine Eigentumsverletzung gemäß § 823 Abs. 1 BGB ist nicht erkennbar. Durch den Empfang unerwünschter eMails werden auf Seiten des Klägers keine materiellen Wirtschaftsgüter beeinträchtigt, sondern lediglich Zeit, Arbeitsaufwand und Speicherplatz seines Computers, die als Vermögen nicht dem Eigentumsschutz unterfallen (vlg.: Schmittmann, CR 98, 499). Dies ist anders als bei der Telefaxwerbung, wo regelmäßig das Eigentum des Empfängers an Papier und Toner betroffen ist (vgl.: BGH, GRUR 96, 208 - Telefaxwerbung).

Ob die unerwünschte Zusendung von Werbe-eMails in anders gelagerten Fällen andere absolute Rechte des Empfängers beeinträchtigen kann (vgl. AG Brakel, NJW, NJW 98, 3209 - allgemeines Persönlichkeitsrecht; Fikentscher/Möller, NJW 98, 1343 - negative Informationsfreiheit), mag hier dahingestellt bleiben. Jedenfalls im vorliegenden Fall sieht die Kammer den Eingriff in den Gewerbebetreib wegen der negativen Auswirkungen gerade auf die Berufsausübung des Klägers als vorrangig an.

Das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein »sonstiges Recht« im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. In den Schutzbereich dieses Tatbestandes fallen neben Unternehmen im engeren Sinne auch die Angehörigen der freien Berufe - wie hier der Kläger als Rechtsanwalt (vgl. Münchner-Kommentar-Mertens, BGB, 3. Aufl. § 823, Rdn. 488).

Voraussetzungen für eine Rechtsverletzung ist ein unmittelbarer zielgerichteter Eingriff in den Gewerbebetrieb, der gegen den Betrieb als solchen gerichtet, also betriebsbezogen ist und nicht von dem Gewerbebetrieb ohne weiteres ablösbare Rechte oder Rechtsgüter betrifft (Münchner-Kommentar-Mertens, § 823, Rdn. 490). Dieser Tatbestand dient zur Entwicklung richterlicher Verhaltensnormen zur Abgrenzung zwischen verbotenen und erlaubten gewerbeschädigenden Beeinträchtigungen über den gesetzliche geregelten Bereich hinaus (vgl.: Münchner-Kommentar-Mertens, § 823, Rdn. 481).

Nach einer Gesamtwürdigung ist die hier in Rede stehende Beeinträchtigung für den Kläger auch von solcher Intensität, daß sie als »Eingriff« in seinen Geschäftsbetrieb angesehen werden kann.

Nach Auffassung der Kammer sind für die Beurteilung des betriebsbezogenen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetreib gemäß § 823 Abs. 1 BGB dieselben Erwägungen anzustellen, die für die Frage der Wettbewerbswidrigkeit von eMail-Werbung im Rahmen des § 1 UWG herangezogen werden (vgl. dazu: LG Traunstein, NJW 98, 1648; Baumbach-Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl., § 1 UWG, Rdn. 70a; Leupold, WRP 98, 270; Schmittmann, MMR 98, 53; Reichelsdorfer, GRUR 97, 191, CR 98, 171; Funk, CR 98, 411). Die Frage der Wirkung dieser Werbesendungen auf den Empfänger stellt sich in beiden Fällen gleichermaßen. Im übrigen dient der Schutz des Gewerbebetriebs gemäß § 823 Abs. 1 BGB gerade auch dazu, ergänzungsbedürftige Lücken im Anwendungsbereich des UWG zu schließen (Münchner-Kommentar-Mertens, § 823, Rdn. 484), weshalb die Tatbestände hier im Zusammenhang gesehen werden müssen.

Danach stellt die unaufgeforderte eMail-Werbung eine erhebliche, im Ergebnis nicht hinnehmbare Belästigung des Empfängers dar. Es kommt nicht darauf an, ob der Empfänger Privatperson, Freiberufler oder Gewerbetreibender ist.

Der Abruf der eMail-Nachrichten erfolgt »online«. Jede - auch unerwünschte - Nachricht, die übertragen wird, verlängert die Übertragungszeit. Der Empfänger muß Arbeitszeit aufwenden, um die Werbe-eMails auszusondern. Zudem muß er die darauf entfallenden Telekommunikationsgebühren zahlen. Schließlich ist zu befürchten, daß eine große Anzahl von Werbesendungen die Speicherkapazität der Empfänger-Mailbox überschreiten. In diesem Fall kann es sogar zu Datenverlusten kommen oder zu Rücksendungen (mit Fehlermeldung) der eingehenden Nachrichten an den Absender (Schmittmann, MMR 98, 55; Baumbach-Hefermehl a. a. O.).

Es ist unerheblich, daß der Beklagte im konkreten Fall unstreitig nur eine einzige eMail an den Kläger gesandt hat, die für sich allein nicht geeignet war, in erheblichem Umfang die oben genannten nachteiligen Folgen für den Empfänger zu verursachen. Denn die Gefahr von Werbe-eMails besteht gerade darin, daß eine nicht kontrollierbare Anzahl von Personen eMails an eine ebenfalls unüberschaubare Zahl von Empfängern sendet, was erst im Zusammenwirken zu den Beeinträchtigungen der Empfänger führt. Hier muß jeder einzelne Mitverursacher für die Gesamtwirkung verantwortlich gemacht werden, da ansonsten keine Handhabe gegen diese Art der Belästigung bestünde. Ein Argument dafür, bereits die Versendung einer einzelnen Werbe-eMail als »Eingriff« in den Gewerbebetrieb anzusehen, ist insbesondere auch die »Ausuferungsgefahr«, die diese Form der Werbung in sich birgt. So ist eine Werbeart schon dann als unlauter anzusehen, wenn sie den Keim zu einem immer weiteren Umsichgreifen in sich trägt und damit erst zu einer untragbaren Belästigung und zu einer Verwilderung der Wettbewerbssitten führt (BGH GRUR 88, 614 - zur Btx-Werbung). Es ist hier Sog- und Nachahmungseffekt zu befürchten (vgl. LG Traunstein a. a. O.). Sofern die eMail-Werbung generell zugelassen würde, wäre zu befürchten, daß die Zahl der Werbe-eMails weiter zunehmen würde und auch die Belästigungen für den einzelnen Empfänger ein unerträgliches Maß annehmen könnte. Dem muß dadurch entgegengewirkt werden, daß die eMail-Werbung unter Vorwegnahme der voraussichtlichen Folgen ihrer Verbreitung bereits jetzt auch im Einzelfall als unzulässig anzusehen ist.

Die Betriebsbezogenheit des Eingriffs ergibt sich hier schon daraus, daß der Kläger die Internetanschrift »lawyer@...« (»Anwalt@...«) nach außen erkennbar im Rahmen seiner anwaltlichen Tätigkeit verwendet. Die oben genannten Gefahren der eMail-Werbung treffen den Kläger als Anwalt. Eine Realisierung der Gefahr würde hier dazu führen, daß der eMail-Anschluß für den Geschäftsverkehr des Klägers nicht mehr nutzbar wäre und ihm dieses Kommunikationsmittel nicht mehr zur Verfügung stünde. Der Eingriff des Beklagten ist insofern auch zielgerichtet erfolgt. Dafür ist nicht erforderlich, daß der Beklagte mit der Absicht handelte, den gewerblichen eMail-Anschluß des Klägers zu blockieren. Ausreichend ist, daß er bewußt die Internetanschrift des Klägers eingegeben hat, dieser also tatsächlich Adressat der eMail sein sollte. Der Einwand des Klägers, die Übersendung an den Kläger sei ein Versehen gewesen, ist nicht nachvollziehbar und überzeugt deshalb nicht. Denn der Beklagte hat selbst nicht behauptet, eine unrichtige eMail-Adresse angegeben, sich also in Wahrheit »verschrieben« zu haben. Vielmehr wollte er seine eMail unter anderem auch an den Kläger senden. Zwar ist davon auszugehen, daß er sie an eine Vielzahl von ihm nicht bekannten Personen gerichtet hat und sich dabei keine konkreten Gedanken über die möglichen Empfänger gemacht hat. Gerade diese unkontrollierte Streuung von Werbesendungen ist aber im Ergebnis nicht hinnehmbar.

Nach Auffassung der Kammer ergibt sich die Unzulässigkeit des Verbots der eMail-Werbung zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch nicht aus der EU-Fernabsatzrichtlinie (Bl. EG Nr. L 144 v. 4.6.1997, NJW 1998, 212).

Dabei ist zunächst zu beachten, daß sich Richtlinien der EU gemäß Art. 189 Abs. 2 EGV grundsätzlich an die Mitgliedsstaaten richten und der Einzelne zumindest bis zum Ablauf der vorgesehenen Umsetzungsfrist keine Rechte aus ihnen herleiten kann. Dessen ungeachtet besteht jedoch für die nationalen Gerichte die Möglichkeit und auch das Gebot richtlinienkonformer Auslegung nationalen Rechts bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist (vgl. BGH, NJW 98, 2208, EuGH, NJW 98, 2809).

Die Kammer sieht jedoch keine Veranlassung, den Rechtsbegriff des »Eingriffs« in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb richtlinienkonform dahingehend auszulegen, daß das unaufgeforderte Versenden von Werbe-eMails nicht darunter zu subsumieren wäre.

Zwar bestehen nach Auffassung der Kammer erhebliche Zweifel daran, ob ein Verbot der eMail-Werbung nach nationalem Recht mit der Fernabsatzrichtlinie (im folgenden: »Richtlinie«) vereinbar ist.

Gemäß Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie bedarf nur die Verwendung von »VoiceMail-Systemen« und Telefax im Fernabsatz der vorherigen Zustimmung des Verbrauchers. Gemäß Art. 14 S. 1 der Richtlinie besteht für die Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrecht zu erhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Gegen die Annahme, daß dies den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit eröffnet, auch eMail-Werbung von der vorherigen Zustimmung des Verbrauchers abhängig zu machen, hat die Kammer jedoch folgende Bedenken: Zum einen können die Mitgliedsstaaten gemäß Art. 14 S. 2 der Richtlinie »durch solche Bestimmungen« - nämlich die in Satz 1 genannten - im Interesse der Allgemeinheit den Vertrieb bestimmter Waren und Dienstleistungen verbieten. Die Kammer neigt dazu, dies als Konkretisierung und Beschränkung des Anwendungsbereichs von Art. 14 der Richtlinie anzusehen. Das Verbot bestimmter Kommunikationsmittel wäre danach nicht zulässig. Dafür spricht auch die »Erwägung« (24) der Richtlinie, die Zweck und Hintergrund von Art. 14 der Richtlinie zum Gegenstand hat.

Diese Frage der Auslegung der Richtlinie - die gegebenenfalls der EuGH zu entscheiden hätte - braucht hier jedoch nicht abschließend geklärt zu werden, weil jedenfalls die nach der Richtlinie von den Mitgliedsstaaten zu treffenden Maßnahmen zum Schutz des Einzelnen vor ungewollten Werbesendungen bisher nicht getroffen wurden. Solange der nach der Richtlinie vorgesehene Individualschutz nicht durch entsprechende gesetzliche Regelungen gewährleistet ist, besteht nach Auffassung der Kammer zumindest bis zum Ablauf der Umsetzungsfrist der Richtlinie keine Veranlassung, die bisher nicht kontrollierbare Versendung von Werbe-eMails zuzulassen.

Gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, daß Fernkommunikationstechniken, die eine individuelle Kommunikation erlauben, mit Ausnahme der in Abs. 1 genannten Techniken, nur dann verwendet werden dürfen, wenn der Verbraucher ihre Verwendung nicht offenkundig abgelehnt hat. Gemäß »Erwägung« (17) der Richtlinie sollten die Mitgliedsstaaten die geeigneten Maßnahmen ergreifen, um die Verbraucher, die keine Kontaktaufnahme wünschen, auf wirksame Weise vor derartigen Kontakten zu schützen, und zwar ohne Beeinträchtigungen der zusätzlichen Garantien, die dem Verbraucher aufgrund gemeinschaftlicher Regelungen über den Schutz personenbezogener Daten und der Privatsphäre (Art. 8 und 10 EMRK) zustehen.

Solange der Verbraucher die Blockade seiner Mailbox fürchten muß und mit Kosten für die eMail-Werbung belastet wird, ist davon auszugehen, daß er die Verwendung der eMail als Werbemittel offenkundig ablehnt (vgl.: Fikentscher/Möllers, NJW 98, 1338, 1343). Nach Auffassung der Kammer soll dem Verbraucher gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie ermöglicht werden, sich gegen den Erhalt von eMails auszusprechen und sie in diesem Fall auch nicht zu erhalten. Zwar setzt die eMail-Werbung im Gegensatz zu den in Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie genannten Kommunikationsmitteln nicht die vorher erteilte Genehmigung des Verbrauchers voraus. Andererseits kann Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie auch nicht so verstanden werden, daß der Verbraucher das ihm eingeräumte Ablehnungsrecht jedem (potentiellen) Werbetreibenden individuell zum Ausdruck bringen müßte. Denn das würde bedeuten, er müßte die eMail-Werbung zunächst dulden, um sich anschließend erst gegen ihre Fortsetzung zur Wehr zu setze zu können. Zudem wäre der Verbraucher angesichts einer Vielzahl von Werbe-eMails schlicht überfordert. Vielmehr soll ihm gemäß Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie die Möglichkeit geschaffen werden, mit seiner einmal erklärten Ablehnung den Erhalt von eMails generell zu verhindern.

Bisher besteht aber keine Handhabe, einer solchen Ablehnung des Verbrauchers effektiv Rechnung zu tragen. Darüber hinaus sind keine Vorkehrungen getroffen, wie der Empfänger seinen Widerspruch gegen den Empfang rechtlich durchsetzen kann.

Es ist zwar technisch möglich, durch sogenannte Filterprogramme Werbebotschaften zu ermitteln. Der jeweilige Internet-Service-Provider kann grundsätzlich eMails mit Hilfe zuvor festgelegter Kriterien aussondern und ihre Übermittlung verhindern, sofern der Verbraucher dies von ihm verlangt. Voraussetzung für den wirksamen Einsatz der Filterprogramme für Werbesendungen ist aber, daß diese als solche eindeutig identizierbar sind. Zum einen könnte sonst bei Einsatz der Filter mögicherweise versehentlich auch andere Geschäftspost herausgefiltert werden. Zum anderen ist zu befürchten, daß Werbetreibende die Filterwirkung dadurch umgehen, daß sie bei der Formulierung ihrer Werbetexte den Besonderheiten dieser Programme Rechnung tragen (Reichelsdorfer, CR 98, 172). Dem kann dadurch begegnet werden, daß der Absender die eMail in der obligatorischen Betreffzeile (sogenannter »Header«) als Werbung kennzeichnen muß (vgl. dazu: Schnittmann, MMR, 98, 53; Leupold, WRP, 98, 270, 279; Funk CR 98, 411, 420).

Um dies zu gewährleisten müssen nach Auffassung der Kammer gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese könnten insbesondere darin bestehen, die Werbetreibenden zur Kennzeichnung zu verpflichten und im Fall der Zuwiderhandlung Sanktionen anzuordnen (vgl. dazu: Leupold, a. a. O. S. 277; Funk a. a. O.). Ferner wäre eine Identifikationspflicht des Werbetreibenden sinnvoll, um es dem Empfänger zu erleichtern, bei einem Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht den Werbetreibenden auf Unterlassung oder Schadenersatz in Anspruch nehmen zu können.

Die Kammer hält dagegen eine freiwillige Selbstkontrolle durch Werbetreibende und Provider-Unternehmen allein für nicht ausreichend. Die flankierenden Maßnahmen müssen für alle eMail-Nutzer verbindlich sein. Die sogenannte »Netiquette« und Absprachen zwischen verantwortungsbewußten Internet-Nutzern genügen nicht, um den Verbraucher vor denjenigen Werbetreibenden zu schützen, die die Besonderheiten des Internets bewußt in unlauterer Weise für ihre Zwecke ausnutzen«.

An dieser grundsätzlichen Auffassung hält die Kammer - auch unter Berücksichtigung zwischenzeitlich zu dieser Frage ergangener Urteile anderer Gerichte - fest. Zu ergänzen ist Folgendes:

Der Einwand des Beklagten, wonach der Kläger durch eine entsprechende Registrierung auf einer Mailing-List mit ihm, dem Beklagten, in Geschäftsbeziehung getreten sei, wäre zwar geeignet, die Rechtswidrigkeit des Werbeschreibens zu beseitigen. Denn, dieses unterstellt, würde es sich bei dem streitgegenständlichen Schreiben nicht um »unerwünschte« eMail-Werbung handeln. Jedoch müßte der Beklagte eine solche Anfrage des Klägers darlegen und beweisen. Dazu hat er aber nichts konkretes vorgetragen. Sofern ein unbefugter Dritter den Eintrag des Klägers in die Mailing-List des Beklagten veranlaßt haben sollte, so würde der Beklagte auch dafür das Risiko tragen. Denn er ist verantwortlich, wenn aufgrund der Automatisierung seines Geschäftsbetriebs gegebenenfalls auch solche Personen eMails erhalten, die dazu keine Veranlassung gegeben haben. Wäre dies anders, könnten sich Werbende im Internet immer damit entlasten, daß sie aufgrund von Fehlinformationen anonym gebliebener Dritter von einem Interesse des Empfängers an der Werbung hätten ausgehen können. Das würde den Schutz gegen unerwünschte eMail-Werbung letztlich aushöhlen. Ein Interesse des Klägers an der Werbung des Beklagten ist auch nicht daraus zu folgern, daß er mit einer Kanzlei-Homepage im Internet vertreten ist und dort auch seine eMail-Anschrift angibt. Denn diese Homepage richtet sich an potentielle Mandanten des Klägers und lädt nicht dazu ein, ihm eMails jeglicher Art zuzusenden. Ließe eine Homepage im Internet ein Interesse an jeglicher Werbeinformation vermuten, wären Gewerbetreibende im Internet gegen unerwünschte eMail-Werbung nicht geschützt.

Die Wiederholungsgefahr wird aufgrund des einmaligen Verstoßes des Beklagten vermutet. Sie ist grundsätzlich nur durch die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung zu beseitigen, die der Beklagte verweigert hat.

Die Ausführungen des Amtsgerichts Kiel in seiner Entscheidung vom 30. September 1999 (110 C 243/99) sind schon deshalb auf den vorliegenden Fall nicht übertragbar, als es dort um eine eMail an eine Privatperson ging, hier aber eine eMail an die Geschäftsadresse des Klägers in Rede steht.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 S. 1 ZPO.


Folgende offensichtliche Tippfehler wurden korrigiert: »Gewerbebetriebs.« statt »Gewerbebetrieb.«, »stehenden Beeinträchtigung« statt »stehende Beeinträchtigung«, »lawyer@,,,« statt »lawyer@...«, »eMail Adresse« statt »eMail-Adresse«, »eMail Werbung« statt »eMail-Werbung«, »Art 10« statt »Art. 10«, »der Verbrauchers« statt »des Verbrauchers«, »ein freiwillige« statt »eine freiwillige«, »die der Beklagten« statt »die der Beklagte«. Möglicherweise wurden auch versehentlich neue Tippfehler eingebaut.