Beschluss vom 8. Januar 2002 - 5 U 6727/00
Mitgeteilt durch Julian Ladisch.
Beschluss
Tatbestand
Begründung der Kostenentscheidung
Unterlassungsanspruch aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB
Gewerbebetrieb und Persönlichkeitsrecht
Werbesendung
Beweislast, ob Werbesendung erbeten
Werbung rechtswidrig
Nachahmungsgefahr, Werbeflut, Aufmerksamkeit,
Zeitaufwand, Speicherüberlauf
BGH-Keimtheorie
standardisierter Werbebetreff für Filterprogramme
Fernabsatzrichtlinie und E-Commerce-Richtlinie der EU
Wertfestsetzung
Geschäftsnummer: 5 U 6727/00
16 O 115/00 Landgericht Berlin
Verkündet am: 8. Januar 2002
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In Sachen
J* D*
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Beklagter und Berufungskläger,
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gegen
Rechtsanwalt N* H*
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Kläger und Berufungsbeklagter,
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hat der 5. Zivilsenat des Kammergerichts durch den Richter am Kammergericht Dr. Pahl als Einzelrichter am 8. Januar 2002 beschlossen:
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Der Wert des Berufungsverfahrens beträgt bis zur Erledigungserklärung der Parteien 15.000,00 EUR, danach die insoweit entstandenen Kosten des Rechtsstreits.
Der Kläger nimmt den Beklagten wegen unerwünschter eMail Werbung auf Unterlassung in Anspruch.
Der Kläger ist Rechtsanwalt in Berlin. Er verfügt bei dem in Berlin ansässigen Internet-Service-Provider »S*« über einen eMail-Anschluss mit der Adresse »h*@berlin.s*.de«, die er auf seiner Kanzlei-Homepage als Kontakt-Adresse nennt.
Der Beklagte ist Herausgeber und Chefredakteur des »* N* R*«, eines Internet-Newsletters, der unter der Internetadresse »www*.net« aufgerufen werden kann.
Am 9. Dezember 1999 erhielt der Kläger von dem Beklagten unter seiner oben genannten eMail-Adresse folgendes eMail des Beklagten:
Von: li*@*net<li*@*.net>
An: h*@berlin.s*.de<h*@berlin.s*.de>
Datum: Donnerstag, 9. Dezember 1999 13:26
Betreff: Kostenloser Zugang zum I* N*R*Interessieren Sie aktuelle Themen über Kommunikationstechnik?
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Der Kläger behauptet, er habe nicht in Geschäftskontakt mit dem Beklagten gestanden und sich insbesondere nicht in dessen »Mailing«-Listen eingetragen.
Er hat beantragt,
den Beklagten zur Unterlassung der Zusendung derartiger eMail-Schreiben zu verurteilen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er meint, sein Schreiben sei nicht als Werbung anzusehen. Es handele sich lediglich um eine »check-Mail«, die nur auf erfolgte Registrierung durch den Internetnutzer erfolge und mit der überprüft werde, ob das zuvor bekundete Interesse ernstgemeint sei. Im Falle keiner oder einer negativen Rückantwort werde die Registrierung sofort gelöscht. Der Kläger müsse auch aufgrund seines eigenen Auftretens im Internet damit rechnen, dass er - wie geschehen - eMails erhalte.
Das Landgericht hat den Beklagten antragsgemäß aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB zur Unterlassung verurteilt.
Nachdem der Beklagte im Berufungsverfahren - ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, gleichwohl mit Rechtsbindungswillen - eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben hat, haben die Parteien übereinstimmend mit widerstreitenden Kostenanträgen den Rechtsstreit für erledigt erklärt.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 a ZPO. Bis zur Abgabe der strafbewehrten Unterlassungserklärung war die Klage zulässig und begründet. Dem Kläger stand insoweit gegen den Beklagten ein Unterlassungsanspruch hinsichtlich der eMail-Schreiben aus §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB in entsprechender Anwendung zu.
Die eMail-Zusendung betrifft zum einen den Gewerbebetrieb des Klägers, im Übrigen auch dessen Persönlichkeitsrecht. Insoweit schützen §§ 1004, 823 Abs. 1 BGB auch gegen unzumutbare Belästigungen.
Die eMail des Beklagten ist eine Werbesendung, denn sie preist den eigenen Informationsdienst an und zeigt Wege zu seinem Erhalt auf.
Der Kläger hat diese Werbesendung nicht erbeten.
Insoweit liegt die Darlegungs- und Beweislast beim Beklagten, da er sich auf ein Einverständnis des Klägers als Rechtsfertigungsgrund beruft.
Einen Beweis hat der Beklagte insoweit nicht angetreten. Soweit er sich allein darauf beruft, der Kläger unterhalte eine eMail-Adresse, führt dies - wie im Übrigen auch das Führen eines Telefonanschlusses bei unerlaubter Telefonwerbung - nicht zu einer Umkehr der Darlegungs- und Beweislast. Auch auf ein allgemeines Einverständnis mit jedweder Werbezusendung kann daraus nicht geschlossen werden. Denn die eMail-Anschrift des Klägers dient - ohne Vorliegen besonderer, entgegenstehender Umstände - dessen konkreten geschäftlichen und privaten Interessen, nicht aber dem Absatzinteresse Dritter.
Mit der eMail-Zusendung hat der Beklagte in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb des Klägers bzw. dessen Persönlichkeitsrecht rechtswidrig eingegriffen.
Zwar ist mit dem Speichern und Abrufen einzelner eMails in der Regel nur ein geringer Arbeits- und Kostenaufwand verbunden. Werbe-eMails stellen aber ebenso für die Unternehmen eine extrem kostengünstige und effektive Werbemöglichkeit dar, die eine hohe Aufmerksamkeit des Angeschriebenen erzwingen kann. Deshalb ist bei ungehemmter Freigabe einer eMail-Werbung mit einer allgemeinen Flut derartiger Werbeschreiben zu rechnen. Die Nachahmungsgefahr ist extrem groß. Dann sind absehbar auch für den Werbeadressaten erhebliche Zeitaufwendungen erforderlich, um aus den relevanten eMail-Zusendungen die bloßen Werbesendungen heraus zu sortieren. Ebenso besteht bei der absehbaren Flut von Werbe-eMails trotz der hohen Speicherkapazitäten die Gefahr einer Erschöpfung derselben, so dass im Einzelfall erwünschte eMails nicht mehr den Adressaten erreichen können.
Auch in seiner vergleichbaren Entscheidung zur Btx-Werbung (GRUR 1988, 614, 615) hat der BGH das Verbot damit begründet, dass der Empfänger Zeit und Telefonkosten aufwenden müsse und das Telefon beim Löschungsvorgang für einige Zeit blockiert werde. Dem stehen die hier absehbaren Auswirkungen einer Flut von Werbe-eMails gleich.
Soweit der BGH ausdrücklich seine Bedenken für den Fall zurückstellen würde, dass eine Möglichkeit gegeben wäre, Werbemitteilungen im Btx-Verfahren an Hand des Inhaltsverzeichnisses ohne weiteres zu identifizieren und zu löschen, kann offen bleiben, ob dies auf Werbe-eMails übertragbar wäre. Denn jedenfalls ist bei den Werbe-eMails des Beklagten schon eine solche einfache Identifizierung nicht gegeben. Aus dem Betreff der eMail ist der Werbezweck nicht aus sich heraus erkennbar. Der Beklagte bestreitet sogar einen solchen Werbezweck.
Allenfalls dann, wenn in einem standardisierten Betreff an dessen Beginn ausdrücklich und unmissverständlich die eMail als Werbeschreiben gekennzeichnet ist, könnte ein Programm als technisches Filtersystem einfach und zuverlässig unerwünschte Werbung aussortieren. Weitergehendes hat auch der Beklagte nicht vorgetragen.
Die Fernabsatzrichtlinie und die E-Commerce-Richtlinie der EU und deren Umsetzungen in nationales deutsches Recht steht vorliegend nicht entgegen.
Zum einen ist hier kein Fall einer grenzüberschreitenden Werbung gegeben. Darüber hinaus erlauben beide Richtlinien ein höheres Schutzniveau (vgl. Köhler/Piper, UWG, 2. Auflage, § 1 UWG Rdnr. 165).
Die Wertfestsetzung beruht auf § 3 ZPO.
Dr. Pahl
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